Finn Kenter: „Erbarmungslose Flaute“ und „beängstigender Nebel“ auf der Ostsee

Die Regatta „Silverrudder“ vor Fünen auf der Ostsee ist nichts für Feiglinge. Finn Kenter aus Seeshaupt erlebte jede Menge Abenteuer.

Seeshaupt – Am Ende wurde wieder sehr viel Seemannsgarn gesponnen. Mancher Segler fand sich mit seinem Boot urplötzlich in einem Fischernetz gefangen, andere liefen auf einer der zahlreichen Sandbänke fest und versuchten verzweifelt, ihr Boot wieder flott zu bekommen. Aber egal, was den Skippern beim „Silverrudder“ rund um die dänische Insel Fünen im vergangenen September widerfahren war, sie werden es nicht so schnell vergessen.

„Es geht in die Richtung, der Natur ausgeliefert zu sein“, brachte Finn Kenter seine Erfahrungen auf den Punkt. Für den Steuermann vom Yachtclub Seeshaupt (YCSS) war es die Premiere bei der größten Einhandregatta der Welt, der in der Szene als dem „Ironman of the Sea“ höchster Respekt gezollt wird.

Segeln: Flaute auf der Ostsee bringt Fenn Kenter an seine Grenzen

130 Seemeilen hatte der 20-Jährige vor sich. Als er Anfang März 2020 bei der Registrierung einen der 450 begehrten Startplätze ergatterte, träumte er von einer tüchtigen Brise und von hohen Wellen. Als er ein paar Tage vor der Regatta auf Fünen eintraf, windete es äußerst kräftig und Kenter wurde klar, „dass ich schnell an meine Grenzen kommen würde“. Doch die Natur trägt nicht nur gewaltige, erhabene und manchmal auch gnadenlose Züge, sie kann auch still und leise sein und damit den Menschen an seine Grenzen bringen. Als Kenter am 18. September des vergangenen Jahres vor Svendborg die Startlinie überquerte, regte sich kaum ein Lüftchen. Nur der Strom trug ihn hinaus auf den Großen Belt. An der Flaute sollte sich fast nichts ändern, bis er nach 45 Stunden und 30 Minuten die Ziellinie erreichte. Zusammen mit 311 Abenteuerlustigen war der Student gestartet, am Ende bewältigten gerade einmal 29 Segler die Umrundung der Insel in der zulässigen Zeit – das sind nicht einmal zehn Prozent. Kenter war einer von ihnen. „Ich bin total glücklich, es geschafft zu haben“, freute er sich, dass er zu den wenigen Auserwählten zählte, die sich durch nichts hatten entmutigen lassen.

Kenter sammelt mit 13 Jahren erste Erfahrungen mit dem Segeln auf hoher See

Eigentlich kommen einem Segler vom Starnberger See Regatten auf dem offenen Meer nicht auf Anhieb in den Sinn. Zwar beschäftigen sich der Deutsche Touring Yacht-Club (DTYC) in Tutzing und der Bayerische Yacht-Club (BYC) in Starnberg seit einigen Jahren mit der Materie, doch das Gros der hiesigen Skipper fühlt sich auf den Binnengewässern zu Hause oder segelt bei den Wettfahrten an Nord- und Ostsee oder im Mittelmeer stets einen Kurs in Küstennähe. Als Kenter seine ersten Erfahrungen mit dem Segeln auf hoher See machte, war er 13 Jahre alt. Beim deutsch-französischen Jugendlager der „Optimisten“ auf der Halbinsel Quiberon in der Bretagne ging es an einem Tag weit hinaus auf den Atlantik. Das war vollkommen neu für ihn. Aber irgendwie fühlte sich Kenter mit seiner Nussschale in seinem Element. „Es war ein schönes Erlebnis“, sagt er und erinnert sich gern zurück an seine Initiation als Hochseesegler. Damals landete er auf dem siebten Platz.

Mit demselben Ergebnis beendete er auch das „Silverrudder“. Kenter vertraute der „Kia ora“, dem über 30 Jahre alten H-Boot seiner Eltern, auf dem er einst das Segeln erlernt hatte und das er in den vergangenen Jahren auf Regatten steuerte. Aufgrund seiner Länge wurde es beim „Silverrudder“ in die Kategorie „Kielboot small“ eingestuft und war damit gegenüber der Hightech-Konkurrenz fast hoffnungslos unterlegen. „Es ist ein bisschen so, als würden Formel-1-Rennwagen gegen Lkw und Pkw antreten“, beschrieb Kenter das Kräfteverhältnis. Am Ende sollte die Technik jedoch überhaupt keine Rolle spielen, sondern allein die Willensstärke der Segler. „Es war ein Kampf gegen die Flaute und den inneren Schweinehund“, lautete Kenters Fazit.

Segeln: Nach der Flaute muss Finn Kenter mit dichtem Nebel kämpfen

Zwar kreuzten alle Boote in Landnähe, aber die Herausforderungen waren für alle gigantisch. Kenter litt unter der „erbarmungslosen Flaute“, wie er sie ehrfurchtsvoll bezeichnete, und er fürchtete sich, als am letzten Tag ein „beängstigender Nebel“ aufzog und alles um ihn herum verschluckte. In dieser Suppe waren nur die ständigen Warnsignale der Frachter und Fährschiffe zu hören. Wie weit sie wirklich von ihm weg waren, konnte er nur erahnen. Welche Chance hätte er gehabt, wenn einer dieser Riesen plötzlich wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht wäre?

Segeln: An Schlaf war bei Finn Kenter während der zwei Tage auf See kaum zu denken

Ein Wagnis war die Regatta allemal. Der Oberbayer lebte nicht nur mit der Angst, über Bord zu gehen. „Das durfte nicht passieren“, stellte er klar. An geregelte Mahlzeiten war nicht zu denken. Es hätte zu viel Aufmerksamkeit gekostet, seinen Gaskocher öfters am Tag in Betrieb zu nehmen. Kenter musste auch mit seinen Kräften haushalten, denn an normalen Schlaf war auf der Ostsee nicht zu denken. Zwei Nächte verbrachte er auf dem Meer. „Ich wollte mich nicht länger als zehn Minuten hinlegen“, erläuterte er seine Strategie, die dringend nötigen Pausen einzulegen. Doch dann schlief er gleich fast eine halbe Stunde, fühlte sich danach aber wieder richtig frisch.

Nach der ersten Nacht fuhr er in den Kleinen Belt. Die Hälfte der Strecke war geschafft. Nur regte sich kein Lüftchen mehr und der Strom trieb sein Boot wieder aus der Meerenge zurück. Kenter warf den Anker und wartete ab. Doch es passierte nichts: kein Wind, kein Fortkommen. Den Seglern um ihn herum erging es nicht besser. Irgendwann kapitulierten sie, warfen den Motor an und gaben auf. Kenter hatte allerdings keinen Motor dabei. So schnell konnte er also gar nicht aufgeben. Er harrte einfach aus und legte sich schlafen.

Segeln: Aufgeben kam für Finn Kenter beim „Silverrudder“ nie in Frage

28 Stunden waren seit dem Start vergangen. Die Zeit wurde knapp. Boote, die noch etwa 30 Seemeilen vor sich hatten, befanden sich angesichts der Flaute in schier aussichtsloser Lage. „Und ich hatte noch gut 60 Seemeilen vor mir“, so Kenter. Und nur zwei Alternativen: Aufgeben und sich nach Middelfart in den nächsten Hafen durchkämpfen? „Kommt für mich nicht in Frage“, schwor er sich. Also vertraute er auf sein Glück. Der nächste Hafen wäre Assens gewesen. Da hätte er dann auskranen können. Kenter setzte darauf, sich Stück für Stück vorzutasten und auf diese Weise vielleicht doch ins Ziel zu kommen.

Doch dann frischte der Wind auf. Der bis dahin Verzweifelte verschwendete keinen Gedanken mehr daran, die Brocken hinzuschmeißen. Die „Kia ora“ machte auf einmal sechs bis sieben Knoten Fahrt. „Die Chancen steigen, es doch zu schaffen“, redete er sich gut zu. Kenter ergriff die Chance, die er nicht hatte. Nach einer weiteren Nacht auf der Ostsee hielt er Kurs auf den Svendborg Sund. Aber wie sollte er im Nebel die Ziellinie finden? Der Skipper wusste nicht, wie viele Stunden vergangen waren, bis er ein kleines Gummiboot mit einer Flagge des Veranstalters entdeckte. Sie wies ihm den sicheren Weg in das in den Nebel getauchte Ziel. Ganz schön viel Seemannsgarn für einen jungen Mann vom Alpenrand.